Mittwoch, 1. April 2015

Diachrone Identität oder Persistenz



Während die synchrone Identität einer Entität durch die vorbezeichnete Materie bestimmt wird, handelt es sich bei diachronen Identität um die Beständigkeit einer Entität im Wandel der Zeit. Synchrone Identität bedeutet, dass eine Entität genau diese Entität und keine andere zu einem bestimmten Zeitpunkt ist. Eine Entität verändert sich aber im Verlauf der Zeit. Alle Körperzellen eines Menschen werden im Verlauf von etwas sieben Jahren durch neue Zellen ersetzt. Trotzdem gehen wir davon aus, dass wir es mit derselben Person zu tun haben, die wir vor sieben Jahren getroffen haben. Worin diese Art der Identität besteht, ist die Frage nach der diachronen Identität.



Die Antwort auf diese Frage ist weit komplizierter und umfangreicher, als die Frage nach der synchronen Identität. Zudem gehen in dieser Frage die Meinungen wohl noch mehr auseinander als bei der synchronen Identität. In der Gegenwartsphilosophie ist eine Antwort besonders beliebt. Diese Theorie wird auch als Theorie zeitlicher Teile oder als Vierdimensionalismus bezeichnet. Diese Theorie ist durch eine bestimmte Interpretation der speziellen Relativitätstheorie inspiriert, nach der ein persistierendes Objekt als ein vierdimensionaler Raumzeitwurm vorgestellt wird. So wie ein materielles Objekt räumliche Teile hat, soll es nach dieser Theorie auch zeitliche Teile haben. Jedes Stadium eines Objekts ist demnach ein zeitlicher Teil des Objekts und das Objekt selbst ist entsprechend eine Zusammensetzung zeitlicher Teile.

Natürlich ist dies eine bestimmte Interpretation der speziellen Relativitätstheorie, die nicht zwingend ist und man kann die Raumzeit auch ohne zeitliche Teile interpretieren. Zudem hat Oderberg gezeigt, dass Physiker, die den Begriff des Raumzeitwurms verwenden, den Begriff des persistierenden materiellen Objekts immer schon voraussetzen und dass sie daher keine wirkliche Analyse der diachronen Identität des Objekts geben.

Allerdings sind Theoretiker, die von zeitlichen Teilen ausgehen, davon überzeugt, dass ihre Interpretation die beste Lösung für die Standardprobleme der Identität ist. Edward Feser bringt in seinem Buch „ScholasticMetaphysics“ auf S. 202, das ich hier zusammenfassend wiedergebe, folgendes Beispiel: Angenommen Sie wogen am 1. Januar 2014 95kg und beginnen dann eine Diät, so dass Sie am 1. Januar 2015 nur noch 85kg wiegen. Nach dem Leibniz-Gesetz kann dieselbe Entität nicht zugleich 95kg und 85kg wiegen. Wie können Sie also dieselbe Person sein, die 2014 95kg und 2015 85kg wiegt? Der Vierdimensionalist beantwortet diese Frage dadurch, dass es sich um zwei verschiedene zeitliche Teile eines Raumzeitwurms – das sind Sie selbst – handelt. Der eine zeitliche Teil, der vom 1. Januar 2014, wiegt 95kg, der andere zeitliche Teil vom 1. Januar 2015 wiegt 85kg. Damit verletzt man nicht das Leibniz-Gesetz und das Problem ist (scheinbar) gelöst.

Ein anderes bekanntes Beispiel für das Problem der diachronen Identität ist das „Schiff des Theseus“. Stellen Sie sich vor, dass sämtliche Teile eines Schiffes im Verlaufe der Zeit durch neue Teile ersetzt werden. Nach einer gewissen Zeit sind alle Teile ausgetauscht und das Schiff hat keinen Teil mehr, den es zu Beginn hatte. Handelt es sich dann noch um dasselbe Schiff? Das Problem wird noch dadurch verschärft, dass man sich vorstellen kann, dass die alten Teile nicht weggeworfen werden, sondern das daraus das Original wieder zusammengebaut wird, so dass man jetzt zwei Schiffe hat, die sich beide sehr ähneln. Was ist nun das „wirkliche“ Schiff? Das erste, bei dem alle Teile ersetzt wurden oder das zweite, das aus den alten Teilen neu zusammengebaut wurde? Oder vielleicht weder das eine, noch das andere?

Auch dieses Rätzel wird von Vierdimensionalisten mit Hilfe der zeitlichen Teile und einem zusätzlichen Prinzip, dem sogenannten „principle of unrestricted mereological composition“ zu lösen versucht. Das Prinzip stammt aus der Mathematik und besagt, dass jede Zusammensetzung von Objekten (auch völlig exzentrische Dinge wie eine Kollektion aus einem linken Schuh, ein Schinkensandwich und dem Mond) als ein Objekt gilt, das die anderen Objekte als Teile hat. So kann man die Teile des Schiffes des Theseus als eine Kollektion zeitlicher Teile betrachten, die einen eigenen Raumzeitwurm bilden. Manche zeitlichen Teile des originalen Schiffes fallen zusammen mit einigen zeitlichen Teilen der originalen Teile usw. Ich möchte hier die Erklärung nicht weiter führen, sondern verweise auf den Text von Edward Feser oder direkt auf den Textvon Theodore Sider, als einem Vertreter dieser Theorie, bei dem die Interpretation dieses Beispiels zu finden ist.

Natürlich wurden gegen diese Theorie zahlreiche Einwände vorgebracht und nicht nur von Seiten der Scholastiker. Doch von einem scholastischen Gesichtspunkt aus gibt es besonders zwei Punkte, die besonders schwierig sind und zwar zunächst der Begriff der zeitlichen Teile und dann die Tatsache, dass die Vierdimensionalisten jede Veränderung bestreiten. Dies werde ich im kommenden Blogbeitrag dann weiter ausführen.


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